Was ist Kleidung eigentlich noch Wert ?
Kannst du dich dran erinnern, wann du das letzte mal Kleidung repariert hast, anstatt sie wegzuwerfen? Nein? Damit bist du wahrscheinlich nicht alleine. Doch was genau führt dazu, dass Anziehsachen zu einem Wegwerfprodukt geworden sind? Die Bekleidungsindustrie ist eine der größten Industrien, in denen die globale Kluft der verschiedenen Produktionsländer gnadenlos ausgenutzt wird. Das bedeutet, dass viele Produktionsstätten unter menschenunwürdigen Verhältnissen geführt werden. Den wirtschaftliche Vorteil, den westliche Länder dadurch erhalten, wird zum Nachteil der Arbeitnehmer:innen ausgenutzt. Dadurch können die Kleidungsstücke hier so billig verkauft werden. Das Fashion-Rad läuft nicht nur auf den Rücken der Menschenwürde, sondern auch zu Lasten der Umwelt.
Vor einigen Jahrzehnten war es normal, dass Modeunternehmen etwa zweimal im Jahr (Sommer/Winter) neue Kollektionen rausgebracht haben. Das hat sich mittlerweile in der Kleidungsindustrie zu mehrmals pro MONAT entwickelt. Das Kleidungsstück, das du also gestern gekauft hast, ist heute wahrscheinlich schon wieder out. »Quick Response Strategie« ist der fachliche Begriff für dieses Vorgehen. Je schneller die Reaktionszeit auf neue Trends ist, desto schneller kann Ware produziert und abverkauft werden. Wie ihr euch also vorstellen könnt, steht das Fast Fashion Rad niemals still.
Gehen wir mal davon aus, dass das von einem Fast Fashion Unternehmen produzierte Kleidungsstück verkauft wurde. Nun ist nicht nur das Material, sondern auch die Produktion darauf ausgelegt, dass das gefertigte Kleidungsstück nicht unbedingt länger als vier Wochen hält. Das ist zum einen günstig in der Produktion und zum anderen auch taktisch klug, da die Kund:innen ja dann natürlich neue Kleidung kaufen. Die Qualität der Produkte entspricht meistens ihrer gewünschten Lebensdauer. Wenn etwas wohlmöglich nur kurz in Gebrauch ist, muss es auch nicht lange halten. Außerdem wird uns ja in den Medien und auf verschiedensten Plattformen suggeriert, dass es einen ganz neuen Trend gibt, dem man nun mal folgt, wenn man cool ist. Je neuer das Outfit am Puls der Zeit ist, desto hipper.
Naja, zweites Szenario ist, dass das Kleidungsstück nicht gekauft wurde (hier wird übrigens nach dem Motto »more is more« gewirtschaftet. Also je höher die Stückzahl in den Produktion, desto billiger wird es. Was passiert denn dann mit der Ware von gestern, die heute ja schon nicht mehr Trend ist? Vernichtung von Ware ist auch in der Kleindungsindustrie ein großes Thema. Wer fast täglich neue Ware auf die Ladenfläche schiebt, muss auch irgendwo mit der sogenannten »Altware« hin. Der Begriff wird in der Branche dafür tatsächlich verwendet, obwohl die Ware natürlich nicht alt ist.
Hier kommt das verwirrende Sale-Phänomen zum Einsatz. Die Kund:innen denken wahrscheinlich: »Ach, die Ware wird einfach günstiger angeboten. Win-Win für Ein- und Verkäufer:innen.« Ne, ganz sicher nicht. Verdient das Unternehmen noch, wenn es eine 200,00€ teure Jacke für 20,00€ verkauft? Im Bezug auf die geringen Produktionskosten, leider ja. Nun ist es aber im Einzelhandel so, dass der Quadratmeter Ladenfläche nach Wirtschaftlichkeit aufgeteilt und berechnet wird. Natürlich werden Produkte, die eine größere Marge pro Stückzahl haben bevorzugt. Sale-Produkte (die eine geringere Marge haben) sind also im Verhältnis von Haltungs- und Lagerkosten zum möglichen Gewinn wirtschaftlich ziemlich uninteressant. Das Flächengesetz im Retail besagt, dass das platziert wird, was den höchst möglichen Gewinn produziert. Das ist unteranderem der Grund dafür, wieso man im Fast Fashion Bereich eine hohe Warendichte pro Quadratmeter hat und im hochpreisigen Bereich eher eine geringe Warendichte. Nun steht die neu produzierte Ware mit höherer Marge in den Startlöchern und die Sale-Ware mit ihrer geringen Wirtschaftlichkeit nimmt teure Laden- und Lagerfläche weg. Was passiert denn dann jetzt mit der Sale-Ware? Nicht nur Ladenfläche ist teuer, sondern auch Lagerfläche. Die Ware zwischenzulagern, um sie irgendwann und irgendwo gesammelt abzuverkaufen wäre natürlich eine Idee. Jedoch sinkt der wirtschaftliche Wert der Ware, je länger sie nicht verkauft ist. Das bedeutet, dass anfallende Laden- und Lagerkosten im Endeffekt höher sind, als die Ware zu vernichten. Ja, richtig. Es ist günstiger, die Kleidung zu vernichten. Neue, defizitfreie Ware, die nicht einmal getragen wurde, auf menschenunwürdigen Verhältnissen und umweltschädlich produziert wurde wird vernichtet, weil es wirtschaftlicher ist, als ihre weitere Existenz. Dieses Szenario könnt ihr eins zu eins so auch auf Onlineunternehmen projizieren. Dabei geht es weniger um Laden- als um Lagerfläche. Nach diesem Prinzip wirtschaften auch hochpreisige Marken mit ihren Produkten. Dabei ist einfach nur die Gewinnspanne pro Stückzahl etwas verschoben. Außerdem kommt noch hinzu, dass es marketingstrategisch als schlecht angesehen wird, wenn Menschen, die sich eine bestimmte Marke eventuell zum normalen Verkaufspreis nicht leisten könnten, diese nun im Sale kaufen. Doch das ist noch mal ein anderes gruseliges Thema...
Fast Fashion ist also kein Problem, was sich lediglich auf Unternehmen beschränkt, die man am häufigsten in den Innenstädten antrifft, sondern eine Strategie und Herangehensweise, die im Endeffekt den wirtschaftlichen Gewinn an erster Stelle setzen. Ja, leider funktioniert diese Welt meistens noch genau so. Auch Markenprodukte bedienen sich dieser Strategien.
Das, was wir also tuen können ist in erster Linie: sich dem ganzen bewusst zu werden. Besonders den eigenen Konsum von Kleidung zu reflektieren. Brauche ich das Kleidungsstück wirklich? Wird es einen langanhaltenden Nutzen für mich haben? Gefällt es mir auch noch in Zukunft oder kaufe ich es nur, weil es gerade Trend ist?
Vegan, fair und nachhaltig wird in naher Zukunft wahrscheinlich nicht das sein, was bei den Big Playern der Fashion Industrie außerhalb von Marketingstrategien und Greenwashing einen wichtigen Platz im Unternehmen hat. Und doch sind wir es am Ende, die entscheiden, wem wir unser Geld geben. Es gibt keine T-Shirts für 5,00€. Das ist das, was du an der Kasse bezahlst, den wirklichen Preis zahlt am Ende die Natur und der Mensch.